Die Reisegruppe auf dem Gut Palmse

vlbs-Landessenioren in Lettland und Estland

Hochaktuelle und spannende Reise mit vielen politisch-gesellschaftlichen, touristisch-kulturellen und sehr persönlichen Impressionen

Erstmalig haben wir in diesem Jahr eine vlbs-Landessenioren-Reise als Flugreise durchgeführt. Die Resonanz unter den vlbs-Senioren/innen war überaus positiv. In Zusammenarbeit mit Petra Theisling vom Deutschland-und Europapolitischen Bildungswerk Nordrhein-Westfalen (DEPB) besuchten wir vom 15. – 22. Mai 2022 Lettland und Estland.

Mit dem Beitritt am 1. Mai 2004 haben die baltischen Staaten ihren Platz in der Europäischen Union eingenommen. Balten und Deutsche verbindet eine sehr lange, aber auch wechselvolle Geschichte. Im Rahmen unserer Studienreise haben wir interessante Projekte besucht und sind in Gesprächen mit Vertretern aus Politik, Wirtschaft und Kultur den baltischen Ländern nähergekommen. Aufgrund des Krieges in der Ukraine und der besonderen Situation der baltischen Staaten in diesem Kontext gewannen viele Eindrücke auf dieser Reise eine besondere Aktualität und Intensität.

Direktflug von Düsseldorf nach Riga

Am NRW-Wahlsonntag sind wir in Begleitung von Frau Theisling vom Flughafen Düsseldorf aus per Direktflug mit Air Baltic in die lettische Landeshauptstadt Riga gestartet. Im stadtnah gelegenen Hotel Bellevue wurden wir am nächsten Morgen von unserer örtlichen Reiseleiterin Gražina Bartosević in perfektem Deutsch und einem charmanten Akzent begrüßt. Gražina hat uns die gesamte Reise mit einer unglaublichen Detailkenntnis beeindruckt. Was aber keinesfalls ermüdend war, denn ihre Vorträge und Hintergrundinformationen waren stets mit einer gehörigen Portion Mutterwitz gewürzt.

Riga – Altstadt, Jugendstilviertel, Friedrich-Ebert-Stiftung

Als Einstimmung auf die Studienreise wurden wir zu einem Vortrag und angeregter Diskussion bei der Friedrich-Ebert-Stiftung erwartet. Im Mittelpunkt standen die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungen in Lettland und Estland vor und nach ihrem Beitritt zur EU. Einen Schwerpunkt nahmen dabei aus aktuellem Anlass der Krieg in der Ukraine und seine realen und befürchteten Auswirkungen auf die baltischen Staaten ein. Es wurde an vielen Beispielen deutlich, dass das Binnenverhältnis unter den 1,9 Mio. Einwohnern Lettlands aufgrund der ethnischen Zusammensetzung aktuell zwar friedlich, aber auch nicht unproblematisch ist. Das wird deutlich, wenn man bedenkt, dass nur 58 % der Einwohner/innen Lettlands lettisch-stämmig sind. Aber 30 % sind Russen 4 % Weißrussen und je 2,5 % Ukrainer und Polen. Ein großer Teil der in Lettland lebenden älteren Russen haben keine lettische Staatsangehörigkeit, sprechen kein Lettisch und dürfen auch aufgrund ihres „Nicht-Bürger-Status“ nicht an Wahlen teilnehmen. Deutlich wurde auch, dass die soziale Lage in den baltischen Staaten nicht einfach ist. Auch wenn in Riga auffällig viele moderne Oberklasse-Limousinen unterwegs sind, so leben doch 23 % der Letten unter der Armutsgrenze. Preise und Kosten liegen nicht weit unter, in vielen Bereichen sogar mindestens auf deutschem Preisniveau. Auch dazu konnten wir auf unserer Reise beim Restaurantbesuch, beim Einkauf und in vielen Gesprächen Erfahrungen sammeln.

Die Stadtführung durch die UNESCO-Weltkulturerbe-Stadt Riga hat sehr beeindruckt. Riga, heute 700.000 Einwohner, wurde schon sehr früh eine wichtige Hansestadt. Deutsche Kaufmannsgilden haben Riga bereits im Mittelalter politisch, wirtschaftlich und von der Stadtentwicklung her maßgeblich geprägt. Aus dieser Zeit stammen viele der offiziellen und privaten Bauten, die Gilde- und Kaufmannshäuser. Besonders der Speicherkomplex aus dem 16. und 17. Jh. erzählt von der Blütezeit. Neben der Altstadt beeindruckte der größte Kirchenbau des Baltikums mit der größten Orgel Europas, der Dom von 1211 sowie das Jugendstilviertel mit seinen eindrucksvoll restaurierten, verspielten Fassaden. Natürlich durfte auch ein Einkaufsbummel durch die Markthallen voller prallem Alltagsleben nicht fehlen. Auch hier wieder ein Stück deutscher Geschichte auf lettischem Boden, denn ursprünglich wurden diese Markthallen von den Deutschen im ersten Weltkrieg als Hangars für Zeppeline gebaut.

Riga – KGB-Museum, Žanis Lipke Memorial und Jürmala   

Mitten in Riga, unauffällig in eine Häuserzeile eingebettet, liegt das ehemalige KGB-Hauptquartier mit seinen Gefängniszellen. Heute ist es als KGB-Museum ein Ort der Erinnerung. Aber auch ein Ort, an dem uns sehr plastisch verdeutlicht wurde, warum der Überfall Russlands auf die Ukraine die Menschen im Baltikum so besonders betroffen macht und große Ängste auslöst. Ein Ort, der das Verhältnis zwischen Individuum und Staatsmacht während der sowjetischen Besatzung besonders eindrucksvoll spürbar macht.

Auch unsere nächste Station in Riga war ein Ort der besonderen Erinnerung. Im Žanis Lipke Memorial haben wir viel über die Zivilcourage eines einzelnen Mannes erfahren. Žanis Lipke, während des zweiten Weltkrieges im „Hauptberuf‘“ eigentlich Schmuggler, hat während der deutschen Besatzung viele Menschen gerettet und in einem selbst gebauten Erdbunker im Garten seines Hauses versteckt. Vor allem jüdische Mitbürger. Dafür wurde ihm 1966 die Auszeichnung “Gerechter unter den Völkern” verliehen.

Etwa 10 km nordwestlich gelegen, überraschte uns der Kurort Jürmala. Dieser bezaubernde Ort an der Ostsee, mit vielen Villen in Jugendstil-Holzbauweise errichtet, hat uns zu einem Bummel über die Kurpromenade, einer Einkehr in eines der netten Lokale und zu einem kleinen Strandspaziergang an der Ostsee eingeladen.

Gauja-Nationalpark und lettische Gastlichkeit

Nordöstlich von Riga liegt der sehenswerte Gauja-Nationalpark. Auf dem Weg dorthin – unser Busfahrer Andris hat uns die ganze Woche chauffiert – erfuhren wir bei einer Betriebsbesichtigung von „Dores Blockbauten“ im Gespräch mit der Geschäftsführung Interessantes über die wirtschaftliche Entwicklung Lettlands. Blockhäuser werden in dieser Region schon hunderte Jahre lang gebaut. Doch hier wird mit Begeisterung, modernen Lösungen und Technologien aus der lettische Ressource Holz eine moderne, ökologische Architektur. Natürlich war es für uns ein „Leckerbissen“ zu sehen, wie Dores eine in alter Tradition verwurzelte Eckverbindungstechnik heute mit moderner CNC-Präzision produziert.

Von dort ging die Fahrt weiter durch den Gauja-Nationalpark zum Bauernhof Zipari im Herzen des Parks. Dort bekamen wir nicht nur ein köstliches, landestypisches Mittagsmenü sondern auch einen Vortrag über die Landwirtschaft in Lettland. Die Vorführung einer selbstgebauten Maschine, mit der traditionelle Holzschindeln hergestellt werden, stieß auf große Begeisterung. Ob allerdings eine deutsche Berufsgenossenschaft diese Begeisterung teilen würde, davon waren wir nicht so überzeugt!

Tartu – das junge, geistige Zentrum Estlands

Tartu ist mit ca. 100.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt Estlands. Plünderungen und Verwüstungen haben Tartu mehrere Male zerstört, weswegen die Bebauung der Stadt nicht sehr alt ist. Nur selten findet man hier Gebäude, die vor 1775 gebaut wurden. Die meisten der Gebäude der Altstadt, die unter Denkmalschutz steht, sind im klassizistischen und neoklassizistischen Stil des 19. Jahrhunderts gebaut.

Tartu ist eine sehr junge Stadt. Studenten prägen das Stadtbild. Die Universität Tartu ist die älteste Universität Estlands und dessen einzige Volluniversität. Sie wurde 1632 unter König Gustav II. Adolf von Schweden gegründet. Auch hier finden sich wieder deutsche Spuren. Die enge Verflechtung der Universität mit Deutschland wurde uns bei der sehr lebhaften Führung durch die wichtigsten Universitätsgebäude aus dem 19. Jahrhundert deutlich. Zwischen 1804 und 1809 wurden diese nach Plänen des Universitätsbaumeisters Johann Wilhelm Krause aus Niederschlesien erbaut. Beeindruckend auch die wunderschön restaurierte Aula, die der Handwerksmeister Christian Holz aus Greifwald schuf. Sehr aufschlussreich war auch der Vortrag einer jungen deutschen Master-Studierenden des Fachbereichs „Internationale Beziehungen“, die seit einigen Jahren in Estland lebt. In der lebhaften Diskussion konnten wir viele Erkenntnisse über die deutsch-baltischen Beziehungen und aktuellen Besonderheiten gewinnen.

Tallinn- Deutsche Botschaft und Sängerhügel

Weiter ging die Fahrt in die estnische Hauptstadt Tallinn mit ihren ca. 400.000 Einwohnern. Hier wurden wir nach einer Besichtigung der orthodoxen Alexander-Newskij-Kathedrale in der Nähe des Estnischen Parlaments zu einem Gespräch mit dem deutschen Botschaftsrat erwartet. Natürlich standen auch hier, unter dem Eindruck des Kriegs in der Ukraine, Fragen zum Deutsch-Estnischen Verhältnis und der Innen- und Außenpolitik im Vordergrund. Es war schon interessant wahrzunehmen, wie Diplomaten mit Fragen umgehen. Denn auch das, was von einem Botschaftsrat gezielt nicht gesagt oder umgangen wird, spricht manchmal Bände. Die öffentlichen Medien in Estland senden nach der 1991 wiedererlangten Unabhängigkeit von Russland sowohl in der estnischen Landesprache als auch auf Russisch. Auf diese Weise wird versucht, den mit 26 % relativ großen Anteil russisch-stämmiger Bürger besser zu integrieren. Problematisch ist, dass ein großer Teil der russisch-stämmigen Bevölkerung nur wenig estnisch spricht und daher durchaus von „Putins Erzählungen“ beeinflusst wird.

Estland zeichnet sich besonders durch seine IT-Affinität aus. Alles kann hier online erledigt werden. Nach Aussage des Botschafters haben die Esten aber auch ein liberaleres Verhältnis zum Datenschutz. Das Vertrauen zum staatlichen Umgang mit ihren Daten wird durch Transparenz erreicht. Jeder kann selbst kontrollieren, wer wann Zugriff auf die eigenen Daten hatte. Unberechtigter Zugriff wird sehr streng sanktioniert.

Nach dem Botschafts-Gespräch besuchten wir das imposante Gelände der „Sängerwiese“, um uns weiter in die estnische Befindlichkeit hinein zu finden. 1988 begann im Zeichen von Glasnost und Perestroika die sogenannte Singende Revolution. Tausende von Esten brachten auf dem Lauluväljak, dem Tallinner Sängerfeld, ihre Forderungen zu Gehör und sangen patriotische Lieder. Im Juni und Juli 1990 wurde das 21. Liederfest zu einer mächtigen Demonstration des estnischen Strebens nach Selbständigkeit und Loslösung von der Sowjetunion.

Ein politisch-historischer Stadtrundgang durch die Altstadt, zum Rathausplatz und über den Domberg mit Blick über Tallinn und den Hafen brachte uns die Stadt näher. Auf dem Domberg residierte “die Macht”. Der Bischof, die Adeligen (oft Deutschbalten) und die Ritterorden. In Tallin, wie auch in Riga, waren auffällig wenige Touristen unterwegs. Nicht nur, weil wegen Corona die Kreuzfahrtschiffe ausbleiben, sondern insbesondere auch, weil aufgrund des Krieges in der Ukraine keine russischen, weißrussischen und ukrainischen Touristen kommen. Auch die sonst häufig anzutreffenden deutschen Reisegruppen waren nur sehr spärlich vertreten.

Lahemaa Nationalpark und Gutshof Palmse

Ein Besuch des Nationalparks führte uns auch zum Gutshof Palmse. Bei herrlichem Sonnenschein war die Führung über den komplett restaurierten Gutshofkomplex mit Herrenhaus Garten und Park ein Genuss. Natürlich durfte auch ein Spaziergang durch ein estnisches Fischerdorf und entlang des Ostseestrands nicht fehlen, bevor es wieder zurück nach Tallinn ging.

Nachdem jeder den Nachmittag in Tallinn individuell gestalten konnte, wurde uns am Abend ein exquisites Abschlussmenü in unserem stadtnahen Hotel L’Embitu serviert. Die beste Gelegenheit, die Reise im Gespräch noch einmal Revue passieren zu lassen.

Rückfahrt nach Riga und Rückflug nach Düsseldorf

Die Rückfahrt führte via Pärnu immer an der Ostsee entlang. Auch wenn wir das Wasser nur selten zu sehen bekamen, es war eine Fahrt durch eine sehr reizvolle Landschaft.

Wie es gute Sitte auf unseren Reisen ist, haben wir unterwegs noch mit einem leckeren Tropfen „Rigaer Balsam“ auf die gelungene Fahrt angestoßen. Bei bestem Sonnenschein am Ostseestrand konnten wir uns bei unseren Reisebegleiterinnen Petra Theisling und Gražina Bartosević und bei unserem Busfahrer Andris herzlich für diese beeindruckende und erlebnisreiche Tour durch das Baltikum bedanken.

 

Ausblick:

vlbs-Landessenioren-Reisen 2023

Immer wieder wurde ich gefragt: „Und nächstes Jahr? Wo geht es hin?“
Nun, dann will ich an dieser Stelle das Geheimnis lüften:
In Zusammenarbeit mit dem DEPB ist vom 19. – 26 Mai 2023 eine Flugreise nach Irland geplant. Dublin, Belfast, das nordirische Parlament, Derry und die Grenze werden besucht.
Eine weitere vlbs-Landessenioren-Reise ist wieder als Busfahrt in deutschen Gefilden angedacht.

Es werden ganz sicher wieder abwechslungsreiche Reisen mit vielen persönlichen Eindrücken und Begegnungen in sehr interessante Städte und Regionen.

Ihr
Reisekoordinator und vlbs Landesvertreter der Mitglieder im Ruhestand

Wilhelm Schröder

Gespräch bei der Friedrich-Ebert-Stiftung in Riga

Seniorenreise2022-08

Gespräch bei der Friedrich-Ebert-Stiftung in Riga

Markthallen / deutsche Zeppelinhallen in Riga

Seniorenreise2022-02

Markthallen / deutsche Zeppelinhallen in Riga

Schwarzhäupterhaus in Riga

Seniorenreise2022-01

Schwarzhäupterhaus in Riga

Jugendstilviertel in Riga

Seniorenreise2022-03

Jugendstilviertel in Riga

Ort der Erinnerung: KGB-Museum in Riga

Seniorenreise2022-04

Ort der Erinnerung: KGB-Museum in Riga

Traditionelles Essen auf dem Bauernhof Zipari

Seniorenreise2022-05

Traditionelles Essen auf dem Bauernhof Zipari

Lahemaa Nationalpark

Seniorenreise2022-07

Lahemaa Nationalpark

Blick über Tallinn

Seniorenreise2022-06

Blick über Tallinn

Die Reisegruppe auf dem Gut Palmse

Seniorenreise2022-10

Die Reisegruppe auf dem Gut Palmse